Typen, Gruppen und Individuen bei Livius by Clemens Schlip

Typen, Gruppen und Individuen bei Livius by Clemens Schlip

Autor:Clemens Schlip
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Walter de Gruyter
veröffentlicht: 2019-02-15T00:00:00+00:00


3.3.2.3Weitere Beispiele für richtige und falsche Einschätzungen

Auch an M. Claudius Marcellus lässt sich demonstrieren, wie die falsche Einschätzung eines Akteurs durch andere mit deren Unterlegenheit ihm gegenüber korrespondiert und welche Bedeutung der rechten Selbsterkenntnis zukommt. In 23,43 sieht man, wie eine Fehleinschätzung des Marcellus durch seine Feinde vom Historiker widerlegt wird. Livius nimmt Marcellus in Schutz gegenüber den Behauptungen einer Samnitergesandschaft an Hannibal – Marcellus und seine Truppen gingen bei ihren Raubzügen im Samniterland unvorsichtig vor und seien eine leichte Beute für die numidische Kavallerie (23,42,12–13) – und hebt hervor, dass Marcellus alle nötigen Vorsichtsmaßnahmen getroffen hatte. Die Karthager finden nämlich alles anders vor, als die Gesandten behauptet hatten (23,43,6–7; 7: Nihil enim Marcellus ita egerat ut aut fortunae aut temere hosti commissum dici posset). Er ist tatsächlich ein alle Eventualitäten in Betracht ziehender Feldherr, der auf den folgenden Anmarsch Hannibals klug reagiert (23,43,8) und diesen in einer Schlacht besiegt (23,44,7–46,2). Auf die Verkennung durch seine Gegner folgt ein Sieg.

Später freilich muss Livius die Unbedachtsamkeit konstatieren, die Marcellus an seinem Lebensende unerklärlich überkam und zu seiner Niederlage in der Schlacht führte (27,27,11).1221 Zur Erklärung der finalen Niederlage des Marcellus gegen Hannibal stellt Livius folgerichtig die charakterlichen Defizite des Marcellus in Form seiner Selbstüberschätzung in den Vordergrund; seine Quellen Coelius und Polybios betonten mehr das militärische Versagen des Feldherrn (eine Kritik, die Livius als vox populi freilich auch einfließen lässt).1222 Diese Selbstüberschätzung (eine Trotzreaktion seines durch politische Gegner verletzten Stolzes)1223 macht Livius bei Marcellus im Vorfeld seiner Niederlage deutlich, wenn dieser überzeugt ist, kein römischer Feldherr sei Hannibal so ebenbürtig wie er selbst (27,12,7: induxerat in animum neminem ducem Romanum tam parem Hannibali quam se esse). Dass dies falsch ist, weiß der Leser bereits deshalb, weil Hannibal eine solche Ebenbürtigkeit schon zu einem früheren Zeitpunkt dem Fabius Maximus Cunctator zugestanden hatte (22,12,5: Romani parem Hannibali ducem quaesissent). Ganz zu schweigen von der Rolle, die der Historiker selbst schon im Voraus dem Scipio Africanus zugeschrieben hatte (22,53,6: fatalis dux).1224 Marcellus’ Worte werden durch die Ereignisse Lügen gestraft.

Negativ ist eine falsche Selbstanalyse, wenn sie – wie beim späten Marcellus – in einer Überschätzung der eigenen Fähigkeiten besteht. Im umgekehrten Fall fällt kein negatives Licht auf die Person. Dem Ansehen des L. Quinctius Cincinnatus und des Camillus schadet es trotz des nachfolgenden Erfolgs ihrer jeweiligen Unternehmungen nicht, dass sie in 4,13,12 bzw. 6,22,7 wegen ihrer vermeintlichen altersbedingten Untauglichkeit Bedenken haben, das ihnen angetragene Amt anzunehmen. Diese übergroße Bescheidenheit macht nachgerade einen positiven Eindruck, da sie ja einen möglichen Schaden vom Gemeinwesen fernhalten soll.1225

Übertriebenes Selbstverständnis, das sich in einer negativen historischen Rolle und in persönlichem Scheitern äußert, zeigt auch der als Zenturio erfolgreiche Marcus Centenius Paenula, der sich in 25,19 in Verkennung seiner Fähigkeiten (25,19,12: tamquam eaedem militares et imperatoriae artes essent) mit einem Feldherrnmandat ausstatten lässt und eine Niederlage erleidet. Auch bei diesem scheiternden Militär wird seine temeritas1226 betont. In erster Linie scheitert er aber daran, dass er sich töricht zu einer Höhe erheben will, die ihm nicht zusteht (Livius sagt in 25,19,12, seine Versprechen seien dumm gewesen).



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